Terroir und der etwas andere Wein

Momentan ist man "in" wenn vom Terroir geschwärmt wird. Wer darüber redet, muss es ja wissen. Bei den großen Weinen wird vom Terroir gesprochen, die Kenner und Weingurus teilen dies ihrer Anhängerschaft mit. Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch in unseren Weinen der Vermarktungswert Terroir gefunden wird. Anscheinend passt ja alles perfekt.

Der Begriff Terroir ist nicht sehr leicht zu übersetzen, da im französischen Gebrauch viele Bedeutungen enthalten sind. Als "Herkunft" direkt übersetzt, wird "Terroir" im wahren Sinn und in der Aussagekraft stark eingeschränkt. Hinsichtlich Wein und Terroir sollte vom Wein mit erkennbarer Herkunft, vom Wein mit Identität und Charakter gesprochen werden.

Ein Beispiel kann sehr hilfreich sein, um Beweggründe und verborgene Inhalte aufscheinen zu lassen. Der Begriff "Terroir" beinhaltet nicht nur die geographische Lage, sondern auch das Produkt und seine Behandlung, sowie das kulturelle Umfeld einer Region.

Frische, unbehandelte Milch - kuhwarm getrunken - schmeckt völlig anders als abgepackte, behandelte, d. h. pasteurisierte, homogenisierte und entrahmte "Frischmilch". H-Milch (haltbar), UH-Milch (ultrahaltbar) und Kondensmilch (eingedickt) können und werden auch getrunken. Die Werbung gestaltet die Verpackungen in Richtung Natur und Herkunft mittels prächtiger Wiesen und Weiden im "natürlichem" Bergland. Jedoch nur bei unbehandelter, naturbelassener Rohmilch sollte der Begriff vom Terroir angewendet werden.

Wer kauft nicht im Sommer die sonnengereiften Tomaten, das frische Gemüse, die ersten heurigen Kartoffeln und freut sich über Geschmack und natürliche Herkunft heimischer Produkte. Tomatenmark, Ketchup, Tomatensaucen und Kartoffelchips etc. schmecken ja überall gleich. Die Werbung kann diesen Mangel an Herkunft und Identität den Konsumenten nicht sehr glaubwürdig vortäuschen, industrielle Massenware ist und bleibt was sie ist.

Bei den Früchten treten die Unterschiede noch viel deutlicher zum Vorschein. Unbehandelt, naturbelassen und frisch, möglichst gerade geerntete Kirschen, Schwarzbeeren, Erdbeeren schmecken besser, reiner und feiner als gefrorene und wieder aufgetaute Früchte oder gar wie deren Marmeladen. Die Behandlung spielt eine bedeutende Rolle für die Qualität und die Herkunft. Besonders wichtig ist die Qualität der Früchte zum Zeitpunkt der Ernte.

Wein und Terroir betreffen in ihrer Bedeutung:
1. die Natur und Umwelt der Weinreben
2. den Anbau und die Pflege der Weinreben
3. die Ernte und Behandlung der Trauben
4. die Verfahren der Vergärung
5. die Methoden des Weinausbaues und der Fasslagerung
6. die Behandlung des Weines
7. die Methoden der Flaschenfüllung.

In diesen 7 angeführten Kapiteln sind eine Vielzahl von Möglichkeiten enthalten.
Für die Beurteilung von Terroir ist daher von Bedeutung, was üblich, d. h. traditionell in einer Region angebaut (Sorten) und wie die Pflege (Kulturart) durchgeführt wird. Die Bodentypen und die Lagen der Weingärten, der Zeitpunkt der Ernte und die Behandlung der Trauben, die Kelterung und Vergärung beeinflussen den Wein in Qualität und Eigenschaften. Aber auch der Stil des Hauses, die Tradition des Ortes und die regionale Küche und Eßgewohnheiten haben auf die Geschmacksentwicklung der Weine einen bestimmten Einfluß. Was kann der Genießer, der Kenner (Connaisseur) und Konsument erwarten und was hofft er dort zu finden? Ein bestimmtes, naturbelassenes Produkt, Wein mit Terroir.

An dieser Stelle muss festgehalten werden, daß in der letzten Zeit viel Unfug und Verwirrung mit den Begriffen geschehen ist. Ein "klassischer" Wein, ausgebaut im Stahltank, stark mit Schwefel versetzt und "modernst" behandelt. Ein "traditioneller" Wein einer z. Z. gefragten neuen Sorte, hypermodern gestylt, d. h. allen technischen Möglichkeiten unterzogen. Wenn der Konsument erkennt, dass das Natur-Produkt Wein chemisch-technisch extrahiert und physikalisch-chemisch eingedickt wurde, dann stößt er sich an Holzchips auch nicht mehr. Aber es wird sicher nicht akzeptiert, wenn Pestizide oft und regelmäßig angewendet werden um eine dünne Beerenhaut mit geringem Tanningehalt zu erzielen. Mangel an Verständnis wird bestimmt vorliegen, wenn der Konsument erfährt, daß sein geliebter Wein in eiskalter, flüssiger Kohlensäure "schwimmt" umgeben von Chemie und ihren Verunreinigungen. Wie weit will man noch gehen, die Grenze der Vernunft überschreiten, bis die Einsicht siegt?

In einem Gespräch mit Paul Pontallier, dem Regisseur des berühmten Chateau Margaux, während des "Salone del Gusto 2002" in Turin wurde das Thema Terroir und die großen Weine von Bordeaux angeschnitten. Chateaux Margaux produziert mit großem Erfolg seit Jahrhunderten unverändert im Verfahren und der Stilistik, gleich den Überlieferungen der Vorfahren. Man hat anfänglich die modernen Methoden, wie z. B. die Mostkonzentration überprüft und dabei festgestellt, daß der Wein dadurch nicht besser wird. Die berühmten Weingüter mit Tradition teilen die "teuren" Weine in zwei Richtungen ein.

Das sind einerseits die Wettbewerbsweine, die Journalistenweine, die in den Verkostungen prämiert werden und überzeugen, aber auch sofort danach ausgespuckt werden. Es sind moderne, gestylte, nur für den Moment der Verkostung ausgelegte Weine, die hohe Noten erhalten. Solche Weine sind für die Sammler begehrte Trophäen, die gehortet und gelagert werden. Werden sie irgendwann einmal geöffnet, dann sind sie selten so gut wie erwartet. Meistens lagern sie in Kellern, daß Weine zu so hohen Preisen viel Entwicklungspotential haben sollen und daher eine lange Flaschenreife benötigen.

Und dann sind andererseits die Weine, die gekauft werden, um getrunken zu werden. Das sind großartige Weine mit Terroir. Sie präsentieren sich mit einer Vielfalt an Aromen und komplexer Frucht und individueller Tanninstruktur. Es sind Weine, in der sich die Landschaft, die Bauernschaft, die Kultur und Küche wiederspiegeln, wie ein Teil der Natur der regionalen Heimat. Wenn diese Weine gekostet werden, spuckt sie sicherlich niemand aus. Nein, der Kenner sucht im "Terroir" die Seele der Natur des Weines. Schweigend genießen, schwelgend und schwärmend, in Gesellschaft oder allein, ... ein Wein mit Seele und Leben.


DI Rolf Pretterebner / 15. 12. 2002 / Der Weinbau / Fachzeitschrift für Winzer